Zur Bewerbungslage

von Benjamin

Nachdem ich zwei Stellen in meinem kommenden DFG-Projekt zu Mediennutzungsstrategien ausgeschrieben hatte, möchte ich einige Daten und Deutungen zu den eingegangenen Bewerbungen nennen, in der Hoffnung, den (sozialwissenschaft-)akademischen Arbeitsmarkt in der Promotionsphase etwas transparenter zu gestalten – vor allem wenn andere es mir nachtun.

Sofern man nach dem Namen binär klassifiziert, haben sich von 21 Kandidat*innen zwölf Frauen beworben. Das ist mehr als die Hälfte. Jedoch ist in den einschlägigsten Fächern (Kommunikationswissenschaft, Soziologie usw.) der Frauenanteil unter den Studierenden oft noch höher. Gerade aus diesen Fächern kamen aber besonders viele Bewerbungen von Männern. Wenn man die männlichen Absolventen der Sozialwissenschaften nicht generell für qualifizierter hält, wird man sich die Geschlechterverteilung wohl so erklären müssen, dass Männer öfter eine wissenschaftliche Karriere in Betracht ziehen und/oder sich eher für qualifiziert halten, was die Anforderungen der konkreten Stelle betrifft, während Frauen offenbar selbstkritischer oder vom Wissenschaftssystem abgeschreckt sind.

Vier der 21 Personen haben ihre Bildungs- bzw. Wissenschaftskarrieren im Ausland begonnen – ansonsten hat nur eine Person (wieder fehleranfällig nach dem Namen klassifiziert) einen Migrationshintergrund, aber ihren Bildungsweg in Deutschland absolviert. Die Stellen eignen sich nun nicht besonders gut für internationale Bewerber*innen mit geringen oder ohne Deutschkenntnisse, da fast alle Teilstudien des Projekts Befragungen einschließen, so dass Erhebungsinstrumente und Daten nicht oder nur mit aufwändigen Übersetzungen zu verstehen wären, wenn die Deutschkenntnisse nicht von Anfang an ausreichen (die Ausschreibung verlangte deshalb auch Deutschkenntnisse und wurde vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet). Das mag in anderen Projekten anders sein, ist aber ein Grundproblem für empirische Sozialforschung, die sich in einem nationalen Kontext bewegt und nicht explizit Strategien und Ressourcen der Internationalisierung vorsehen kann.

Es ist jedoch auch ein Problem, wenn die Forschenden nicht die Breite der jeweiligen Landesbevölkerung widerspiegeln, etwa im Hinblick auf Migrationserfahrung. Oft bauen sich die Hürden auf dem Weg zu einer potenziellen Promotionsstelle jedoch wohl auch schon früher auf, nämlich bei der Aufnahme und Beendigung eines Studiums. Im konkreten Bewerbungsverfahren hat man dann nur noch vergleichsweise wenig Einfluss, da man hier ja nur diejenigen besonders wohlwollend in Betracht ziehen kann, die sich tatsächlich beworben haben.

Sechs Personen haben ein im mehr oder weniger engen Sinne kommunikationswissenschaftliches Studium absolviert, drei weitere ein sozialwissenschaftliches (Studiengänge Sozialwissenschaft, Soziologie u.Ä.). Auffällig sind auch gleich fünf Bewerber*innen mit einem im weitesten Sinne pädagogischen Hintergrund. Manche bringen eine gewisse Erfahrung mit sozialwissenschaftlichen Methoden mit, andere scheinen eher von der sehr allgemeinen Assoziation geleitet, dass Medien ja in der pädagogischen Arbeit relevanter denn je sind und deshalb die Mitarbeit in einem Projekt mit Medienbezug naheliege.

Einerseits wird heute interdisziplinäres Arbeiten immer mehr gefordert, andererseits existieren gewisse Hürden, sich fachübergreifend zu bewerben. Jedes Fach bzw. jede Fächergruppe hat ihre Methoden, theoretischen Ansätze, ihr Wissenschaftsverständnis und ihre eigenen Gegenstände bzw. ihre eigene Perspektive auf dieselben. Ich würde nicht generell von fachübergreifenden Bewerbungen abraten, aber in der Bewerbung besonders deutlich machen, dass ich weiß, in welches Fach hinein ich mich bewerbe. Gewisse Formulierungen und Beschreibungen verraten, ob jemand weiß, in welchen Kategorien ein Fach denkt, was seine grundsätzliche Perspektive ist. Außerdem ist es noch wichtiger als bei anderen Bewerbungen, die spezifischen Kompetenzen aufzuzeigen, die man mitbringt, und die Anknüpfungspunkte zum Zielfach bzw. zum Kontext des Projekts, Lehrstuhls/Teams und/oder Instituts aufzuzeigen.

Um der Präkarität in der Wissenschaft entgegenzuwirken, hätte ich durchaus gerne fortgeschrittene Promovierende für die Stellen in Betracht gezogen, deren bisheriger Vertrag kürzer als sechs Jahre lief – vorzugsweise sogar an Ort und Stelle in München. Allerdings bewarb sich niemand aus dieser Kategorie, lediglich einige Personen, die nach einem Studium seit einer Weile auf wissenschaftsnahen Stellen promovieren bzw. nun eine Promotion anstreben.

Ein Teil der Kandidat*innen wirbt im Motivationsschreiben mit seinen Soft Skills, während andere dies ganz auslassen und sich rein auf die akademischen Kompetenzen und Leistungen konzentrieren. Vielleicht sehen das nicht alle im der Wissenschaft so, aber meine Erfahrung ist, dass in (sozial-)wissenschaftlichen Bewerbungen für höhere Karrierestufen in der Regel nicht darauf eingegangen wird. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht gerne teamfähige, gewissenhafte, kreative usw. Menschen hätte. Man hält das nur nicht für prüfbar oder für selbstverständlich und deshalb nicht für erwähnenswert. Bzw. man ahnt, dass eine entsprechende Selbstdarstellung kaum den Ausschlag geben wird, wenn die akademischen Meriten verglichen werden. Man mag sich beim Karriereeinsteig noch mehr an das Schema einer Bewerbung in der Wirtschaft halten, das man irgendwo gelernt hat, nur gelegentlich erfährt man dann sogar zu wenig über die Passung der wissenschaftlichen Kompetenzen, wenn das Anschreiben vor allem aus Beschwörungen der Teamfähigkeit, Flexibilität, Kreativität usw. besteht.

Bewährt hat sich aus meiner Sicht übrigens, dass die Bewerber*innen nicht nur ihre Kompetenzen im Anschreiben nennen oder sie sich aus den Zeugnissen (insbesondere einer Liste an besuchten Lehrveranstaltungen) ergeben, sondern dass ich eine Arbeitsprobe eingefordert habe. Kein einzelner Bestandteil einer Bewerbung vermittelt ein unverzerrtes Bild der Fähigkeiten, aber eine Haus- oder Abschlussarbeit oder ein Aufsatz zeigen doch noch einmal im Detail, wie jemand mit Fragestellungen, Theorien, Methoden, Argumenten, wissenschaftlicher Sprache usw. umgeht.