Zeitungen und Ziegen
Das neurechte Denken pflegt ja eine Vision einer in homogene Völker segmentierten Welt. Zu Ende gedacht läuft das aber vor allem auf Gewalt gegen all jene hinaus, die sich dieser Einteilung nicht fügen, sei es, dass sie aus Sicht der Neurechten im falschen Land leben und deshalb entfernt werden müssen, sei es, dass sie nicht eindeutig genug in eine ethnische und kuturelle Kategorie fallen und deshalb vor unmögliche Entscheidungen gestellt, umerzogen oder eben doch zwangsweise entwurzelt werden. Die Vision läuft auf staatlich verordnete oder von einem „gesunden“ Volksempfinden diktierte Nationalkultur und auf eine Erziehung zur Missachtung von Minderheiten hinaus, ferner darauf, in vermeintlich traditionelle Geschlechterbilder und andere vermeintlich natürliche Rollen gepresst zu werden, und auf eine Wirtschaftsweise, welche Volksgemeinschaft beschwört und die Spekulation verteufelt, in der aber Ausbeutung mit Verweis auf den „natürlichem“ Platz der Einzelnen im organischen Ganzen gerechtfertigt werden kann. Mit Verweis auf das Wesen des Volkes und seinen wahren Willen kann ohne besondere Abwehrrechte auf das Leben der Volksgenossen und mehr noch der „Fremden“ durchgegriffen werden.
Im Gegensatz zum Antiintellektualismus in Teilen des Rechtspopulismus will man in diesem Segment der Rechten auch geistig satisfaktionsfähig werden, gibt schön gemachte Bücher heraus, organisiert Vorträge und Tagungen und pflegt einen altmodischen Gelehrten-Sprachstil mit gestelzt germanisierten Fremdwörtern, mit deutschtümelnden Neologismen und Anachronismen.
In verschiedenen Bereichen der Medien erfüllt man nicht nur seine wahrgenommene Pflicht, dem sicher auch aufgrund einer selbsterfüllenden journalistischen Prophezeiung in die Parlamente eingezogenen Rechtspopulismus genügend Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Man ist auch sehr bemüht, alles zu unterlassen, was einem als Unfairness gegenüber den rechtspopulistischen Parteien und Personen auslegen könnte, um sich nicht Lügenpresse-Vorwürfe einzuhandeln (diese etwas bittere Beschreibung ist natürlich unfair gegenüber jenen im Journalismus, die sich nicht auf die semantischen Spielchen einlassen, mit denen die Verharmlosungen des Nationalsozialismus und andere Tabubrüche hinterher umgedeutet werden, unfair gegenüber jenen, die Menschenfeindlichkeit klar benennen, die kommunikativen Strategien und organisatorischen Verstrickungen offenlegen, die nicht schon in ihren Fragen und Diskussionsthemen die Deutungen der Rechten übernehmen und die nicht Autoritarismus und Rassismus als die natürliche andere Seite jeder Debatte ansehen, die man ausgewogen berücksichtigen müsse). Und dann gibt es noch jene Bereiche des Journalismus, im Feuilleton und ähnlichen Ressorts, wo man die rechtspopulistische und neurechte Ideologie zum anregenden Debattenbeitrag adelt und sich belebt fühlt vom „Endlich-sagt’s-mal-einer“, sofern das Gesagte nicht pöbelnd und polternd, sondern mit Sarrazinschem Fußnotenapparat, mit (bezirks-)bürgermeisterhaften „Klartext“-Floskeln oder noch besser mit jenem oben beschriebenen altertümlichen Jargon einhergeht. Vielleicht genießt man die Aufmerksamkeit, die einem die rechtspopulistische Provokation einbringt, vielleicht verachtet man auch insgeheim – wie die Neue Rechte – ein wenig den weichgespülten Linksliberalismus, der den gestandenen Chefredakteur oder Großkolumnisten wie einen Waschlappen dastehen lässt, der laviert und klagt und vor frechen Minderheiten kuscht. Und vielleicht geht die Faszination noch weiter, gerade bei jenen, die dem neurechten Gedankengut überhaupt nicht anhängen. Es erscheint irgendwie aufregend, gefährlich (nicht zuerst im Sinne von Brutalität, die ja verschleiert bleibt und die man nur ahnt, sondern intellektuell). Die ganze Inszenierung mancher neurechter Denker und Aktivisten weckt Nostalgie, scheint Authentizität auszustrahlen (oder müsste man deutsch und heideggerisch sagen: „Eigentlichkeit“?). Dann pilgert man nach Schnellroda und beschreibt mit wohlig-grausendem Erschaudern, aber auch irgendwie bewundernd ein Ehepaar, das sich siezt, die Ziegen, die Schlachtplatte und alles. Dann überlegt man, ob man es sich in den heimeligen, heimatlichen Begriffen der Rechten nicht doch bequem machen könnte, „statt sie ihnen zu überlassen“.
Nun etwas ganz anderes. Ich habe vor einer Weile mit Freude eine Studie mitpubliziert (die Idee dazu kann ich nicht selbst in Anspruch nehmen, sondern ich habe nur ein wenig mitgeholfen): ein Experiment, das zeigt, dass eine Zeitung bereits als dadurch politisch weiter rechts oder links wahrgenommen wird, dass sie in einem traditionelleren oder moderneren Layout präsentiert. Das erschien mir einerseits hochplausibel, faszinierend und bedeutsam, andererseits aber doch, bei aller Begeisterung für die Studie, ein kleiner Effekt unter vielen, die in der alltäglichen Mediennutzung unsere Wahrnehmung bestimmen. Es handelt sich eben um Grundlagenforschung, die daran erinnert, dass unsere Wahrnehmungsschemata des Politischen nicht nur auf Sprachverstehen zu reduzieren sind, dass Bilder, Schriftarten, Farben, Seitenaufbau, Initialen etc. eigene Botschaften vermitteln.
Zurück zu den Neuen Rechten. Mir kommt es hier nicht auf eine detaillierte Rekonstruktion und Kritik des entsprechenden Weltbildes an. Das ist ja an verschiedener Stelle bereits geschehen und der Gegenstand dieses Blogs ist ja eigentlich das Synästhetische, also die Entsprechungen zwischen den verschiedenen Modi des Wahrnehmens und auch des Denkens. Mir fiel eine interessante Anekdote auf, die vielleicht gerade jene ansprechen müsste, die vom neurechten Denken fasziniert sind, gerade auch ohne ihm anzuhängen. Sie deutet ästhetisch an, was ansonsten natürlich auch durch detaillierte Analyse nachgewiesen werden könnte: dass jenes Denken überhaupt nicht so intellektuell abenteuerlich ist, dass sich hinter der romantischen Rhetorik, an deren Lippen – so stellt man es sich vor – drahtige rotbäckige Jünglinge mit Seitenscheiteln (und Instagram-Account) in Rittersälen hängen, etwas ungemein Spießiges, Borniertes verbirgt. Die Anekdote ist schnell erzählt: Björn Höcke erwähnte bei einem Auftritt, er habe vor 15 Jahren sein Abonnement der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gekündigt, weil diese anfing, Farbfotos auf die Titelseite zu drucken und die neue Rechtschreibung zu nutzen. Damit war sie für ihn keine konservative Zeitung mehr. Hinter dem ganzen Pseudo-Tiefsinn und Pathos seiner Reden und Schriften erscheint der spießige Studienrat, der am Frühstückstisch über die Zeitung gebeugt über den Kulturverfall zetert.
(Nun werdet ihr sagen: Ist das nicht ein arger Nebenkriegsschauplatz? Stilkritik statt Widerstand? In der Tat, diese Anekdote sollte lediglich einer vielleicht recht kleinen Zielgruppe zu denken geben, die gerne ironischen oder bierernsten rechtspopulistischen „Klartext“ druckt und gerne vor den neurechten Denkern erschaudert – wo doch beides so wenig Klarheit hat und seine letzten Konsequenzen im Unklaren lässt. Reißt euch los und blickt auf die geschehende und heraufbeschworene Gewalt, diskutiert die Ursachen und Hintergründe des Rechtsrucks, seine Verbindungen zum Mainstream, bringt Gegenentwürfe zum völkischen Denken, statt euch von Ziegen, Wortspielchen und Pathos ablenken zu lassen!)