Körbe und Gründe

von Benjamin

Wissen wir immer die Gründe unserer Urteile? Keineswegs – wir kennen ja alle die Rede vom Bauchgefühl. Gerade über die Vorstellungen darüber, was welchem Geschlecht zusteht, für es typisch ist und wie die Geschlechter zueinander stehen, legen wir nicht immer Rechenschaft ab (und täten wir es, kämen wir womöglich zu ganz anderen Ergebnissen, oder dazu, dass das ganze Spiel Unsinn ist). Es erscheint uns, oder vielen oder meistens, als natürlich. Damit meine ich nicht einmal: biologisch begründet. Die ganzen biologischen Begründungen sind nachgeschoben. Die Geschlechterverhältnisse nehmen wir oft (selbst wenn wir das Gegenteil anstreben) als natürlich wahr. In dem Sinne, dass es eben so ist, selbstverständlich; es uns gar nicht in den Sinn kommt, dass es anders sein könnte, Punkt (es ist ein praktischer, kein theoretischer, reflektierte Sinn, den alles dann für uns ergibt, also einer, der sich in Alltagshandeln und alltäglichen Urteilen ausdrückt, nicht im Grübeln und in überlegten Äußerungen). Keine weiteren Begründungen, denn das würde ja schon bedeuten, dass es Gründe bräuchte, dass man sich und andere davon überzeugen müsste oder es zumindest etwas Rätselhaftes hätte, dass man nachforschen müsste.

Rätselhaft sind dann aber die Gründe unserer Urteile – nicht die bewussten, nennbaren Gründe, also etwa die Argumente, das sei von Natur aus so, weil…, oder das sei eine Frage der Erziehung, gehe auf den Einfluss von Germany’s Next Topmodel zurück, usw. Sondern die Grundlagen dessen, dass wir etwas für selbstverständlich halten. Ich gebe einige Beispiele und lade ein, gemeinsam nachzuforschen, welche diese Gründe sein könnten. Die Methode wird die der schrittweisen Variation sein. Wir ändern bestimmte Merkmale und schauen, ob sich unser intuitives Urteil ändert.

Was ganz Banales. Ist euch schon mal aufgefallen, dass fast ausschließlich Frauen Körbe an ihren Fahrrädern haben? Ich hab’s mal auf dem Heimweg (per Fahrrad, ohne Korb, aber ich besitze einen) beobachtet. Praktisch alle Radfahrenden mit Korb waren Frauen, praktisch kein Mann fuhr ein Rad mit Korb. Bei den abgestellten Damenrädern hatte die Mehrheit einen Korb, von den Herrenrädern nur wenige (die Zuordnung zu Personen ist nicht ganz eindeutig, aber man davon ausgehen, dass zumindest Damenräder überwiegend von Frauen genutzt werden und sehr viele Herrenräder von Männern). Körbe sind ja praktisch, aber Männlichkeit und Weiblichkeit ist meist keine Frage des Funktionalen. Wir können ja den praktischen Sinn des Fahrradkorbs ausloten und sehen, ob wir ihn darauf reduzieren können.

Wir können uns mal Folgendes fragen: Wären die Frauen unter euch ratlos, wohin mit ihrer Handtasche, hätten sie keinen Fahrradkorb? Was, wenn sie keine Handtasche hätten? Erscheint es euch allen sinnvoller, einen Korb fest zu montieren (was Vorteile hat, aber mit dem Nachteil, dass man gewisse sperrige Gegenstände nicht transportieren kann – das müsste ja beide Geschlechter betreffen!) oder ihn immer abzunehmen? Wie urteilen Männer und Frauen ästhetisch über Räder mit Körben (sind Körbe sportlich, spießig, heimelig…)?

Aus alledem können wir dann erschließen, ob der Korb eine Fortsetzung der Handtasche ist (und uns fragen, was an der Handtasche in unserer Kultur „weiblich“ ist), ob Frauen eher mit kleinteiligeren Transporten verbunden werden, welche ästhetischen Maßstäbe mit Rädern von Männern und Frauen und mit Männlichkeit und Weiblichkeit überhaupt assoziiert sind.

Ganz anderes Thema. Eine jüngere, attraktive, aber nicht übermäßig reiche Frau, die eine Beziehung mit einem älteren, wohlhabenden Mann unterhält. Ich darf einmal unterstellen, dass vielen das irgendwie – ja wie eigentlich vorkommt? Es ist nichts Neues, aber irgendwie nimmt man es doch nicht als normal und gut hin. Was genau stört einen daran, wenn es einen denn stört? Wir können versuchen, das herauszufinden, indem wir verschiedene Elemente variieren und überlegen, ob die Bedenken der Bedenkentragenden dann wegfallen würden. Was, wenn sie immer ihre Rechnungen selbst bezahlt? Wenn sie keinen Sex hätten? Er der verwitwete Vater ihres verstorbenen gleichaltrigen Mannes wäre? Sie seine Chefin wäre (wenn auch eine weniger gut bezahlte, vielleicht irgendwas Öffentliches oder Gemeinnütziges, und sein Vermögen wäre geerbt, usw.)? Sie sich in eine Chat sehr intim kennengelernt haben, wobei Alter und Vermögensverhältnisse keine Rolle spielten?

Keine Antworten? Nein, ihr müsst diesmal mitforschen. Ich habe ja schon die Fahrräder beobachtet und mir die Fragen ausgedacht, jetzt könnt ihr auch mal was tun.