Fertig sein

von Benjamin

Zeitpläne gibt es für Dissertationen und Flughäfen. Ihre einfachste Form ist die Deadline: bis dahin fertig sein. Die komplexere Form teilt die Zeit bis dahin ein, sieht Varianten des Ablaufs vor oder antizipiert Konsequenzen der Einhaltung und Nichteinhaltung (einschließlich Belohnung und Bestrafung und eventuell auch in der Form, dass man sie für sich selbst einführt, sich selbst belohnt und bestraft).

Zeitpläne haben eine deskriptive und eine präskriptive Funktion, also einerseits eine beschreibende, informierende als Prognose, Ankündigung, eine der Orientierung; und andererseits eine vorschreibende als Maßstab, Verpflichtung, eine der Disziplinierung. Sie können vorhersagen oder versprechen. Man kann sich danach richten oder daran halten, mit ihnen rechnen oder sie befolgen. Beide Funktionen schließen sich natürlich nicht aus. Also einerseits sagt man: Ich bin/wir sind bis dahin voraussichtlich fertig, damit ihr’s wisst/dann habe ich noch genug Zeit für XY/dann kann ich in Urlaub fahren/bis dahin reicht mein befristeter Vertrag usw. Man sagt das Ende voraus und kann es dann in andere Planungen einbeziehen. In Bezug auf diese Funktion ärgert man sich im negativen Fall, dass man falsch geschätzt hat. Man hat sich nicht unbedingt verpflichtet, sondern eben nur etwas zur Kenntnis gebracht. Der Zeitplan war aber womöglich uninformativ, irreführend. In der anderen Funktion sagt man: Das muss bis dahin fertig sein, sonst XY. Wobei dieses „sonst“ manchmal reichlich leer ist: Man ärgert sich halt, dass man es nicht geschafft hat. Vielleicht droht aber auch eine Vertragsstrafe. Natürlich sind die Funktionen auch nicht ganz leicht zu trennen: Eine falsche Ankündigung kann einen moralisch unter Druck setzen, und ein nicht eingehaltenes Versprechen muss nicht unbedingt zu einer moralischen Verurteilung führen, wenn man die Machbarkeit ohne Fahrlässigkeit falsch eingeschätzt hat (trotzdem ist ein Versprechen wohl mehr als eine Ankündigung und ein vorschreibender Zeitplan etwas anderes als ein ankündigender).

Die latente Funktion von Zeitplänen scheint aber zu sein, zuverlässig Enttäuschung zu produzieren. Das erscheint widersinnig. Man produziert dann zumindest Fehlinformationen, demonstriert aber vorläufig Kompetenz gegenüber sich und anderen: Man erscheint effizient und schnell, bis zur Widerlegung. Man leidet unter dem Versagen oder dem Irrtum, aber ein straffer Zeitplan wirkt disziplinierender. Enttäuschung scheint der Preis der Beschleunigung und Eindrucksbildung zu sein. Man kann es entweder immer wieder tun und erleben, dass Zeitpläne nicht eingehalten werden, oder die Schlussfolgerung lautet, dass man es nun einmal lernen müsste. Im doppelten Sinne: Es besser wissen (so dass man besser plant) oder es besser können(so dass man schneller wird), genauer vorhersagen können oder besser ausführen können: Erfahrung und Übung.

Die Anforderungen bei Zeitplänen lauten gemeinhin: Nicht nur das Vorhersehbare besser einschätzen, sondern auch das Unvorhersehbare vorhersehen. Nicht nur die Aufgabe besser bewältigen, sondern mit der Zeit selbst besser umgehen.

Wie aber umgehen mit Planabweichungen? Ereignisse bzw. Abläufe (Zeit verbrauchende Geschehnisse und Tätigkeiten) werden entweder selbstverständlich als solche hingenommen, die im Plan enthalten sind, oder fallen als Ausnahmen auf. Bei manchen Plänen ist das recht klar, wie zugeordnet wird, weil sie relativ exakte und vollständige Angaben über den Ablauf enthalten (jedes Ereignis hat aber noch konkretere Ebenen, auf denen es im Plan nicht beschrieben ist, aber so lange alles läuft, ist relativ egal, wie etwas im Detail gemacht wird und muss nicht auf dieser genaueren Ebene geplant werden: Man plant vor dem Schreiben der Dissertation nicht die Tastenanschläge oder jeden einzelnen Gang in die Bibliothek). Andere Pläne enthalten grobe Kategorien bzw. Phasen, oder Platzhalter: unbestimmte Puffer – eine Kategorie für das, was nicht in eine Kategorie passt. Dann muss entschieden werden, ob eine Ereignis noch in den Zeitplan passt, also die vorgesehene Zeit aufbrauchen darf und wie viel davon, oder ob es als Extrazeit gerechnet werden muss. Dann kann man verschiedene Konsequenzen ziehen: Zur Kenntnis nehmen, dass der Zeitplan nicht erfüllt wird und weitermachen. Den Zeitplan ändern. Die Ausführung abbrechen.