Technik, die begeistert

von Benjamin

Technik ist das, was funktioniert. Und „Funktionieren“ ist eine Frage der Definition, der Erwartung: Was soll denn herauskommen? Soll etwas schnell oder genau gehen, leise oder gründlich, ist nun dieses oder jenes die Funktion, die Haupt- oder Nebenfunktion einer Technik? Etwa ein Handy, ein höchst mehrdeutiges Gerät. Man kann sehr verschiedene Erwartungen daran richten und mache erfüllt ja ein Exemplar besser oder schlechter (bis hin zum Flaschenöffnen). Gewiss, man kann nicht alles spontan zu demjenigen Funktionieren bringen, das man will, etwa ein Klavier zum Fliegen. Aber woran es liegt, ist eine Frage der Interpretation. Klingt überzogen? Ist es aber nicht, wir weigern uns nur, bestimmte Erklärungen anzunehmen (natürlich aus Sicht unseres Weltbildes mit mehr oder weniger guten Gründen). Insgesamt gilt aber: Man kann sich immer vorstellen, dass etwas grundsätzlich funktioniert, nur dass es gerade durch etwas verhindert wird. Sogar in naturwissenschaftlichen Experimenten, oder gerade da: Man kann sich immer verschiedene Dinge denken, die verhindert haben, dass das Erwartete eintrat (weshalb man es dann noch nicht mit Technik zu tun hat, weil das Erwartete nicht zuverlässig eintritt). Man mag dann im Weiteren diese Erklärung ausschließen, aber es bleiben immer noch viele andere. Oder derjenige Befund, der vermeintlich eine Erklärung ausschließen soll, könnte wieder mit einem Fehler behaftet sein. Usw. So gelangt man womöglich zu schlüssigen Erklärungssystemen, aber grundsätzlich ist immer denkbar, dass man positive Befunde wegerklärt und negative schönredet. Das ist nichts Problematisches, sondern so funktioniert gerade Wissenschaft: Man streitet sich über Erklärungen, und es gibt immer mehrere, weil keine zwei Experimente (oder andere Studien) gleich sind (sonst wären es ja keine zwei) und weil Erklärungen immer aus verschiedenen Sätzen bestehen, so dass es niemals eindeutig ist, welcher nicht stimmt (man kann sich höchstens weigern, bestimmte davon anzuzweifeln, weil sie zu wichtig sind bei vielen anderen Erklärungen, aber manchmal fallen auch diese Sätze, obwohl sie sehr bewährt schienen). Man hat immer die Wahl, Erwartungen zu verwerfen, weil sie gescheitert sind, oder ihr Scheitern wegzuerklären. Zwei sehr genaue Uhren, die anfänglich synchron waren, differieren nach einer Weile. Entweder ist eine kaputt, oder die Relativitätstheorie stimmt (es war ja einmal ein großes Wagnis, sowas zu behaupten). Oder zwei sehr genaue Uhren müssten differieren, weil eine davon auf einem Satelliten angebracht ist, aber sie tun es nicht. Entweder ist eine kaputt, oder die Relativitätstheorie stimmt nicht (heute ein großes Wagnis, sowas zu behaupten).

Bei Technik kommt es auf derlei Finessen gerade nicht an. Sie begeistert, indem sie die Erwartungen erfüllt, vielfach und unter verschiedensten Bedingungen, auch wenn man im Detail Definitionsprobleme haben kann: „Funktioniert“ ein Fernseher noch, der seltsame Streifen im Bild zeigt? Aber das ist dann eine Frage der Erwartungen und man kann sich einen Fernseher beschaffen, der diese besser erfüllt. Wie er das tut, kann einem egal sein. Umgekehrt ja auch: Erklärt uns dieser Computerfuzzi, das Problem liegt an soundso (worin er irren kann, und dann streitet er sich mit seinem Kollegen um Erklärungen, und jeder hat eine Erklärung, warum die Erklärung des anderen richtig sein könnte, aber aus bestimmten Gründen nicht ist, usw.), dann interessiert uns das meist nicht, sondern die Frage: Kann man das reparieren (wieder zum Funktionieren bringen) und was kostet das?

Man kennt womöglich den Ausspruch von Arthur C. Clarke, hinreichend fortgeschrittene Technik sei von Magie nicht zu unterscheiden. Das kann man viel ernster nehmen, als es vielleicht gemeint ist. Wir reden wieder zu, ja mit den Dingen. Wenn einer prototypischer Heiler in einer Kultur mit prototypischem mythologischem Weltbild einen Schmerz behandelt, dann kann er z.B. mit diesem Schmerz reden. Die Dinge verstehen und sind mittels Sprache und symbolischen Handlungen zu motivieren. Ihnen wohnt ein Geist inne oder sie sind Geister, mit denen wir so umgehen können. Und die Dinge sind ihren Repräsentationen präsent. Das Bild eines Dings ist das Ding. Was man ihm gegenüber tut (einreden, einstechen usw.), tut man gegenüber dem Ding und hat Wirkungen darauf. Heute sprechen hier die wenigsten mit krankhaften Körperteilen. Gallensteine lassen nicht mit sich reden. Trotzdem sind wir ein wenig Magier geblieben, sofern wir Autos, Computer und Küchengeräte beschimpfen. Und erst recht wieder, wenn wir dem PC, Handy oder Navigationsgerät gesprochene Befehle erteilen. Die Grenze zwischen der physischen Einwirkung auf die Welt der Dinge und der Einwirkung auf menschenähnliche Wesen mittels Sprache oder Symbolen wird fließend, ja im vollgültigen Sinne von Magie besteht kein Unterschied zwischen Einreden und Einwirken, zwischen der Manipulation der Symbole und der Manipulation der Dinge. Indem wir zum Handy sprechen oder Symbole anklicken oder berühren, verändern wir die Welt. Beides, nach modernem Weltbild eigentlich getrennt zu beschreiben (der Umgang mit Symbolen und die kausalen bzw. einprogrammierten Wirkungen), verschmilzt in der Wahrnehmung.

Technik ist damit nicht so sehr von Magie ununterscheidbar als die Unterscheidung zusammenzubrechen droht oder nie so richtig ausgeprägt war. Technik wird ein Ding, das versteht, das man sprachlich und symbolisch zu etwas bringen kann. Jede hinreichend fortgeschrittene Technik ist von menschlichem Handeln nicht zu unterscheiden. Natürlich ist Siri nicht HAL und ASIMO nicht Data. Aber in einer anderen Hinsicht ist Technik ohnehin ein Äquivalent für menschliches Handeln. Bruno Latour hat dafür das Beispiel dieser Klötze gegeben, welche Zimmerschlüsseln von Hotels angebracht sind. Sofern dieser Körper dazu dient, dass die Leute es unbequem finden, den Schlüssel in ihrer Tasche mit sich herum zu tragen, und ihn deshalb lieber an der Rezeption abgeben, wo er nicht verlorengehen kann, insofern erfüllt der Klotz dieselbe Funktion wie menschliches Handeln, nämlich wie der Sprechakt, mit dem eine Person an der Rezeption die Gäste darauf hinweist, den Schlüssel bitte abzugeben. Das Gewicht, das man ob seiner Einfachheit kaum „Technik“ nennen möchte, ersetzt also menschliche Kommunikation, etwa auch in Form eines Hinweisschildes, ersetzt gar menschliche Moral (die gefühlte Verpflichtung, der Bitte des Hotels nachzukommen). Entscheidend ist hier aber nicht, was die Technik selbst tut, sondern was sie bedeutet, was sie einem bedeuten will. Sie sagt einem nicht: „Bitte, lass deinen Schlüssel da!“, sondern nunmehr: „Wäre es nicht bequemer, …?“

Aber gehen wir wieder etwas in Richtung Menschenähnlichkeit. Wenn eine Online-Plattform uns darauf hinweist: „Personen, die…, kauften auch…“, so heißt das zunächst genau das: Eine Korrelation in ihren Datensätzen. Kaufen von X hängt positiv damit zusammen, auch Y zu kaufen. Gleichzeitig ist das nur von Nutzen, wenn es einer Empfehlung mit Menschenkenntnis ähnelt. Leute aus dem Bekanntenkreis können uns etwas empfehlen, weil sie uns kennen. Nur kennen sie nicht das gesamte Angebot solcher Online-Kaufhäuser. Freilich funktioniert die technische Empfehlung nur dann, wenn sie gemessen an menschlichen Maßstäben die Erwartungen erfüllt. Sie wäre sinnlos, wenn die Klientel den Eindruck hätte, das Empfohlene und das bisher Gekaufte seien ja gerade dasselbe, oder überhaupt nicht vergleichbar. Die Technik tut also etwas, was sonst Menschen mit Menschenkenntnis tun: Empfehlen (ein sprachlicher Akt), sagt aber zugleich offen, wie sie es tut: „Personen, die…“, und gilt genau dann als funktionsfähig, wenn das Ergebnis den Erwartungen der Empfehlungsnehmer entspricht (das ist das wichtigere Kriterium, nicht die Ähnlichkeit zu menschlichen Empfehlenden, die ja auch falsch liegen können, die man aber dadurch trotzdem oder gerade deswegen ersetzen kann). Technik hängt damit von den Bedienenden ab, ohne dass diese notwendig die Kontrolle über das Funktionieren haben müssen, und von den Schöpfern, ohne dass diese notwendig die letzte Definitionsmacht über das Funktionieren der Technik haben müssen. Freilich können Anbieter erheblich mitbestimmen, was als Funktion gelten soll. Es gibt Funktionsvorschläge der Form: „Hatten Sie nicht schon immer das Problem…?“ (also eine allgemein anerkannte Erwartung, die nur bisher nicht erfüllt wurde), und der Form: „Wäre es nicht schön…?“ (also eine Funktion, die noch nicht recht bedacht wurde, aber bei näherer Betrachtung oder Bewerbung attraktiv werden kann).

Oder wieder von einer anderen Perspektive betrachtet: Technik als Teil der Bedienenden: Technik ist etwas, womit man etwas tut, was man ohne sie nicht könnte. Man tut es selbst und tut doch mehr als man selbst könnte. Technik ist erweiterte Selbstwirksamkeit. Was ja bereits das Kind erfreut: Das Kind wirft die Rassel herunter. Man reicht sie ihm wieder. Es wirft die Rassel wieder herunter. Weil es geht. So auch mit den Gadgets und der Featuritis vieler technischer Artefakte. Das ist Spiel als Freude an der erfolgreichen Einwirkung auf die Welt und zugleich daran, es selbst getan zu haben (es selbst zu tun und durch die Technik zu tun, es die Technik tun zu lassen, verschmelzen miteinander). Technik als die berühmten „extensions of man“, nicht so sehr nur der Organe (die erweiterte Sehkraft, Fortbewegungsmöglichkeit usw.), sondern der Weltbeherrschung, ja der Macht (manchmal ist die Rede von der Organverlängerung plausibel, manchmal weniger, etwa wenn es darum geht, Blitze zu schleudern und Raketen in den Weltraum zu schicken). Einerseits als Spiel, aber natürlich auch im Ernst, insofern die Welt technisch gestaltet ist mit all den Mauern, Sperren, Überwachungen, Befestigungen und Sollbruchstellen, Passwortkontrollen und kalkuliert eingeschränkten Funktionsumfängen. Wir haben es einerseits mit lokalisierbarer Macht von Gesetzgebern und Unternehmen zu tun (Technik als Äquivalente für Gesetze und Verträge: Poller statt Politessen, code as law), und mit der verstreuten Macht der etablierten Techniken, die das Leben in solchen und solchen Bahnen lenken, wie sie es unbemerkt, oder zur Freude bzw. zum Ärgernis tun (was immer eine Art Macht darstellt, da sie es eben nur so tun und nicht anders, und wir nicht immer merken, dass wir gar nichts anderes erwarten, oder noch nichts anderes erwarten, obwohl wir es könnten – ohne dass dahinter eine Art Verschwörung stecken muss, sondern einfach die redensartliche Macht des Faktischen).

Wir hätten also Technik als extensions of man, häufiger aber als equivalents of man, aber entscheidend immer: expectations of man – das Funktionieren im Sinne einer Erwartung, die Macht und Lust verheißt.