Mit besonderer Empfehlung (2)

von Benjamin

Was Buchhändler noch so tun. B. Mazon (aus dem ersten Teil) empfiehlt z.B. auch Bücher. Lässt sich eigentlich nicht so einfach delegieren, würde man denken [zum Empfehlen auch schon dies]. Um das beurteilen zu können und um zu wissen, was „empfehlen“ bedeutet, muss man zunächst die übliche soziale Definition davon bestimmen. Die liegt uns freilich nicht auf der Zunge, sondern wir wissen nur praktisch, was empfehlen bedeutet. Offensichtlich geht es um die Nennung eines oder mehrerer Objekte, welche einer angesprochenen Person gefallen könnten. Dabei ist jedoch zunächst zwischen einer gültigen und einer erfolgreichen Empfehlung zu unterscheiden. Damit der Akt des Empfehlens ausgeführt wird, müssen sicher einige Bedingungen erfüllt sein. Man spricht aber nicht nur dann von einer Empfehlung, wenn das Vorgeschlagene wirklich den Angesprochenen gefällt. Man kann sich bei Empfehlungen irren, und es bleiben trotzdem Empfehlungen. Sie sind aber erfolglos darin, den Empfangenden wirklich zu nützen. Man kann aber auch etwas ausführen, was nach einigen Kriterien eine Empfehlung zu sein scheint, aber keine „echte“ oder eben „gültige“ ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn man etwas vorschlägt, es einem dabei aber unernst ist, man also bewusst, vielleicht sogar erkennbar etwas nennt, was deutlich am Geschmack der Angesprochenen vorbeigeht (um witzig zu sein, sie zu ärgern, ihnen einen Streich zu spielen, Dritten etwas vorzumachen usw.).

Es gibt dann Grenzfälle, wo man über den nötigen Ernst streiten kann. „Ernst“ in diesem Sinne ist wie bei vielen vergleichbaren Akten eine bestimmte Intention, die vorliegen muss, damit der Akt als gültig angesehen wird. Zumindest muss es ausreichend glaubhaft sein, dass sie vorliegt. So muss man zwecks einer Empfehlung die Absicht haben, etwas zu nennen, von dem man aufrichtig glaubt, dass es der angesprochenen Person gefallen wird. Man kann dann streiten, ob diese Intention von anderen überlagert werden darf oder wie weit sie gehen muss: Muss man ein ernsthaftes Wohlwollen hegen, oder reicht es das, dass man das Gefallen vermutet – nicht um jemandem etwas Gutes zu tun, sondern um eines eigenen Vorteils willen. B. empfiehlt z.B. Bücher mit dem Zweck, dass die Leute sie kaufen. Offensichtlich geht das besser, wenn man solche Bücher vorschlägt, welche den Leuten gefallen. Man könnte in einem Extremfall argumentieren, Wohlwollen oder zumindest der aufrichtige Wunsch, der Klientel zu nützen, gehe eine harmonische Verbindung mit dem Geschäftssinn ein. Oder aber auf der anderen Seite, das Profitstreben überlagere jedes echte Wohlwollen. Vielleicht würde man im zweiten Fall eher von „Aufschwatzen“ reden, vor allem wenn nicht der wohlverstandene Nutzen der anderen im Vordergrund steht, sondern vor allem der Absatz, und wenn deren Entscheidungsfreiheit wenig zählt (Empfehlen geht dann in Andrehen, Suggestion u.Ä. über; es gibt auch Fälle, wo es in Befehlen oder Erpressen übergeht: ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann…).

Die vorgeschlagenen Bücher müssen für eine gültige Empfehlung also mit einer Absicht ausgewählt werden und dürfen in diesem Sinne nicht beliebig sein. Nicht jede Nennung ist also natürlich eine Empfehlung, selbst wenn das Genannte gefallen sollte. Bei einer sonst regelgerechten Empfehlung dürfen die genannten Objekte womöglich sogar „beliebig“ oder zufällig sein, wenn die Ansicht besteht, gerade durch diese Auswahl der angesprochenen Person besonders zu nützen. Sie möchte vielleicht gerade völlig unerwartet und unkontrolliert auf Neues gestoßen werden, überrascht werden. Das markiert freilich ebenfalls eine Grenze der gültigen Empfehlungen. Und gültige Empfehlungen stellen nicht automatisch erfolgreiche dar, sondern das kommt auf die Fähigkeiten der Empfehlenden an („Menschenkenntnis“ und einen ausreichenden Überblick über den Markt, um geeignete Bücher überhaupt zu kennen).

Man kann nun das Empfehlen, wie im ersten Teil das Schenken, an andere Personen delegieren. B. weist ihren Mitarbeiter an, Personen Bücher vorzuschlagen, die diese mögen könnten. Was aber, wenn man dies an eine technische Apparatur delegieren möchte, z.B. ein Computersystem (mit Hardware, Datenstrukturen und Algorithmen)? Nehmen wir als Beispiel einen Online-Buchhändler, A. Mazon, und befragen wir die Sprache: Was kann man über ein technisches Empfehlungssystem sagen? Durchaus ja, dass A. einem Bücher empfiehlt. Man kann zunächst das Unternehmen als Ganzes als Handelndes sehen, wie eine einheitliche Person, die empfiehlt. Aber wenn man letztlich diejenigen Personen identifiziert hat, die darüber entschieden haben, Empfehlungen abgeben zu wollen, kann man im einzelnen, konkreten Fall nicht sagen, dass die betreffenden Entscheidungsträger empfehlen – genau mir jetzt genau dieses Buch. Niemand im Unternehmen hat beschlossen, mir das jetzt zu empfehlen. Und auch niemand im Unternehmen ist die Person, die das jetzt gerade wissentlich und absichtlich ausführt. Man kann aber sagen, „das Unternehmen“ empfiehlt, wenn man seine technischen System dazu zählt. Man sagt vielleicht durchaus: A. hat mir eben dieses Buch empfohlen? Die Nachfrage: „Wer im Unternehmen A. war das denn?“, wäre aber natürlich Unsinn, obwohl das in anderen Fällen ginge („Wer in der Buchhandlung B. um die Ecke hat dir denn das Buch empfohlen?“). Was Technik tut, kann also offenbar zum Handeln von Unternehmen gezählt werden.

Die Entscheidungsbefugten in einer Organisation müssen also nicht jedes Mal die Intention haben, etwas zu empfehlen, sondern nur den Typus der Handlung (das Empfehlen) festlegen, und die Regel, unter welchen Bedingungen das geschehen soll, damit man verallgemeinernd sagen kann, das Unternehmen empfehle. Wenn nun diese Handlung mittels technischer Systeme ausgeführt werden soll, so müssen genau diese Regeln implementiert werden: die Bedingung, wann empfohlen werden soll, und eine bestimmte Vorgehensweise, welche eine selektive Konkretisierung der Definition des Empfehlens ist. Durch Befolgung dieser Regeln tut nun das System etwas, was von den Verantwortlichen als Empfehlen verstanden wird und von der Klientel (hoffentlich) als Empfehlen akzeptiert wird – ansonsten bleibt es nur die Auflistung beliebiger Bücher. Bzw. das Auflisten von irgendwas ohne Bedeutung, denn für das System ist das gleichgültig, was es auflistet, und natürlich auch zu welchem Zweck. „Empfehlen von Büchern“ wird es erst dadurch, dass die entscheidenden Leute das so verstehen. Die einzelne „Handlung“ des Empfehlens entzieht sich dann der jedesmaligen genauen Kenntnis der Verantwortlichen – zumindest wenn sie ökonomisch denken und nicht vor dem Rechner sitzend jeden Vorgang genau nachvollziehen. Sie haben die abstrakte Absicht zu empfehlen und die Maschinerie führt das im Einzelfall konkret aus. Wir haben es also mit einer Trennung von intentionstragenden Verantwortlichen und „Ausführenden“ zu tun, wo letztere nicht einmal die Absicht zur Ausführung haben müssen – sie wissen nicht im menschlichen Sinne, was sie tun (zumindest geht man landläufig davon aus). Und wir haben mit der Unterscheidung zu tun zwischen Typus einer Handlung, ihrer Implementierung in Algorithmen, die mittels bestimmter Datenstrukturen auf bestimmter Hardware laufen, und der jeweiligen Ausführung, bei der bestimmte spezifische Daten verarbeitet und erzeugt werden: die Daten, auf denen die Empfehlung beruht und die Liste der empfohlenen Bücher. Dabei ist dann noch zu unterscheiden zwischen all diesem technischen Geschehen mitsamt den Daten einerseits, und der Bedeutung andererseits, die das hat bzw. haben soll: eine ernsthafte, „gültige“ Empfehlung, hoffentlich sogar eine erfolgreiche.

Warum sagt man aber nun trotzdem, das Computersystem von A. „empfehle“, wenn es denn nun keine Ahnung hat, was das bedeutet, und keine Intention? Es gibt da ja zwei soziologische Extrempositionen. Die eine: Technik handelt nicht, weil das Geschehen für die technischen Apparaturen keinen Sinn ergibt; und die andere: Was Technik tut, kann bedenkenlos als Handeln bezeichnet werden, denn schließlich ersetzt Technik da menschliches Tun – somit ist es erkenntnisfördernd und unsentimental, das dann einfach auch als Handlung zu beschreiben und sich wichtigeren Fragen zuzuwenden, statt über die Vergleichbarkeit von Menschen und Maschinen zu sinnieren.

Wie nimmt man es nun wahr, wenn sich bei A. was empfehlen lässt? Der erste Teil der Beschreibung oder Erklärung besteht darin, dass man Ausführenden ganz oft die „ganze“ Handlung zuschreibt, auch wenn sie nicht selbst darüber entscheiden oder gar keine rechte Ahnung haben, was sie da tun. Man blendet die Auftraggebenden, Intentionen Tragenden, Entscheidenden aus, widmet sich ganz der konkreten Umsetzung und beschreibt sie in Begriffen, die eigentlich „zu groß“ sind. Eigentlich würde nämlich die Bezeichnung für eine Handlung definitionsgemäß oft mehr implizieren, als die Ausführenden tun. Das Computersystem spuckt ja eben nur eine Liste mit ein paar warmen Worten aus, es fehlt ihm aber die Intention.

Der zweite, leicht unterschiedliche Teil der Erklärung besagt, dass man etwas als eine Handlung eines bestimmten Typs beschreibt, wenn bestimmte äußerliche Anzeichen vorliegen, ohne dass alle definitionsgemäßen Kriterien erfüllt sind. Man überprüft ja auch im Alltag nicht immer genau, ob die Leute es ganz und gar so meinen, wie sie sagen, welche Intention sie haben, ob auch diejenigen Teile ausgeführt wurden, die man nicht zu Gesicht bekommt, usw. Man nimmt es einfach an, erwartet es, setzt es voraus. Eine solche Zuschreibung reicht für die alltägliche Praxis vollkommen aus und würde nicht eigentlich als „falsch“ bezeichnet. Jemand nennt Bücher („die könntest du mal lesen“), und man forscht dann nicht mehr so genau nach, ob das wirklich als Empfehlung gemeint ist oder was die wahre Absicht ist. Man ordnet das einfach spontan so ein, wenn nichts Offensichtliches dagegen spricht. Wenn nun eine Website eine Liste ausgibt mit dem Hinweis, „das könnte Ihnen gefallen“, dann reflektiert man nur in Ausnahmefällen, ob das nun im vollgültigen Sinne eine Empfehlung ist, welche Intentionen ob und bei wem (oder bei „was“) dahinter stecken. Man sortiert das einfach als Empfehlung ein und schaut sie sich mit mehr oder weniger oder ohne Interesse an. Das gute an solchen „unpersönlichen“ Empfehlungen, so passend oder unpassend sie auch sind, ist nämlich dann doch, dass man sich nicht aus einem Verkaufsgespräch mit einem lebenden Gegenüber herauswinden muss oder gegenüber wohlmeinenden Personen Interesse heucheln.