Herrchen und Hundeleben

von Benjamin

Als hobbymäßiger Tierethiker wundere ich mich öfter, dass Rechtspopulistische (und Rechtsextreme) so entschieden für Tierschutz einzutreten scheinen. Natürlich kann man Tiere mögen oder sich mehr Rechte für sie wünschen, und das steht nicht unbedingt mit anderen Einstellungen in Verbindung. Mir scheint es jedoch einen überzufälligen Zusammenhang zu geben, dass gerade jene, welche sich abweisend bis aggressiv gegen Geflüchtete äußern, gleichzeitig oft ihre Abscheu über Tierquälerei und oft auch ihren Wunsch nach harten Strafen dafür kundtun. Umgekehrt gilt der Zusammenhang natürlich nicht unbedingt: Wer sich für Tierschutz, Tierrechte usw. einsetzt, ist oft auch liberal oder links eingestellt.

Mir geht es natürlich nicht darum, Menschen gegen Tiere auszuspielen, also nahezulegen, man solle sich doch um die Geflüchteten kümmern statt um die Tiere. Aber zugespitzt fällt doch auf, dass Kriegsopfer und Armutsflüchtlinge nach der Auffassung vieler Ausländerfeindlicher doch bleiben sollen, wo sie sind (bzw. die erbärmlichste Unterbringung erdulden müssen zum Beweis, dass sie keine Wirtschaftsflüchtlinge sind), dass aber Tierheime in den gleichen Ländern als unzumutbar gelten. Oder man ist empört über die Diskriminierung einiger Hunderassen als gefährliche Kampfhunde… Oder man freut sich, wenn eine Hund und eine Katze kuscheln… Usw. Es geht darum, hinter diesem etwas polemisch übersteigerten Widerspruch den inneren Zusammenhang zwischen rechtem Tierschutz und der Ablehnung von Geflüchteten zu verstehen.

Ich würde mit meiner Erklärung bei einer streng partikulären persönlichen Moral ansetzen – der Grundhaltung, dass man Menschen Wohlwollen und Fürsorge abgestuft danach schuldet, wie nahe sie einem stehen. Moral ist dann nicht universell, Rechte und Pflichten kommen Menschen dann nicht allgemein und unbedingt zu, selbst in den anonymsten Beziehungen, unter völlig Fremden. Sondern die Moral bleibt unverallgemeinert, stellt vor allem auf den Schutz von, und die Aufopferung für diejenigen ab, zu denen eine persönliche, eine partikuläre Beziehung besteht, oder zumindest eine, die analog dazu gedacht wird. Im Gegenteil, Fremde werden als bedrohlich empfunden und ihre Ansprüche gehen gegen null, ja es scheint, als müssten ihnen noch Privilegien genommen werden, sie noch irgendwelche Zumutungen einstellen.

Wie passt das nun zu denjenigen Haltungen, die damit erklärt werden sollen: der Ablehnung von Geflüchteten und der Empörung über die Misshandlung von Tieren? Fürsorge, die Pflicht zum Beistand, wird nach dieser Haltung denjenigen geschuldet, die einem emotional nahestehen, wichtiger aber noch: denjenigen, die natürlicherweise dem Schutz der eigenen Person unterstellt zu sein scheinen. Wie es auf der Seite eines rechten Tierschützers hieß: „Kinder und Tiere sind Schutzbefohlene“ (abgebildet sind kleine Kinder, Hunde und eine Katze; nebenbei arbeitete man sich insbesondere an sexualisierten Vergehen ab: „Gegen Pädophilie und Zoophilie“ – ich kann diesen Aspekt aus Gründen des Umfangs hier nicht weiter erläutern. Die Formulierung von den Schutzbefohlenen kehrt bei anderen wieder, ich beziehe mich hier aber nicht unbedingt so sehr auf den organisierten rechtsradikalen Tierschutz, sondern auf eine Denkweise, die sich z.B. in den Facebook-Posts kleinbürgerlich-rechtspopulistischer Herrchen, Frauchen und Zuwanderungsgegner äußert). Auf der einen Seite scheint es für Personen, die so denken, eine natürliche Bindung zwischen Eltern und Kind sowie zwischen Mensch und Haustier zu geben. Ungeachtet aller historischer Wandlungen des Verhältnisses von Eltern und Kindern und zwischen Mensch und Tier stellt man sich vor, dass es eine selbstverständliche Beziehung zwischen ihnen gibt und dass daraus die einzigen wirklichen Verpflichtungen beruhen.

Interessanterweise sind Kinder und Haustiere auch diejenigen, deren Ansprüche man nicht nur akzeptiert, sondern deren Ansprüche einem auch kontrollierbar erscheinen (prototypisch der gehorsame Hund), die einem also nicht ohne Weiteres bedrohlich vorkommen können (zumindest der eigene Hund ist immer ungefährlich) – anders als etwa die Forderungen (bzw. Rechte) vollkommen Fremder, deren Maß und Ziel man nicht einschätzen kann und begreifen will. Man kann seine Kinder und Hunde (in subjektiv wohlwollender Weise) disziplinieren, im Gegensatz zu all den anderen draußen. Über sie hat man mangels entsprechender Position und politischer Ermächtigung keine Gewalt. Vielleicht spielt also dieses Verhältnis von scheinbar natürlicher Verbindung, Abhängigkeit und Kontrolle eine wichtige Rolle in der rechtspopulistischen Moralität, die sich schützen will vor überbordenden Ansprüchen Fremder, der (vermeintlichen) Zerstörung der traditionellen Lebensform und einer Infragestellung der eigenen labilen Position in der Gesellschaft.

Es geht bei der Moral demnach darum, wer zur Familie gehört. Man soll Facebook nicht mit der Realität überhaupt verwechseln und nicht für repräsentativ halten, aber meiner unsystematischen Beobachtung nach findet man bei den rechtspopulistischen Postenden viel mehr Haustiere und insbesondere Hunde als Nutztiere (der eigentlich rechtsextreme Tierschutz kritisiert zwar auch die Nutztierhaltung und wirbt teilweise sogar für vegane Lebensweise, aber andere Gruppen richten sich gegen angebliche oder tatsächliche Misshandlung von Haustieren). Das würde doch sehr die vorstehende Deutungen unterstützen.

Jedenfalls lässt sich das Prinzip der partikulären Moral, der Fürsorge für Seinesgleichen, auf weitere Kreise ausdehnen, die fallweise auch noch sozusagen zur Familie gehören (außer insoweit sie auch schon wieder anfangen, lästige Ansprüche zu stellen, wie Sozialleistungen, Lohnerhöhungen, die zu Preissteigerungen, und Streiks, die zu Zugausfällen führen, rücksichtsvolle Sprache usw.). Deutschland – nicht unbedingt das reale ganze, aber ein ideales Land des Deutschtums – ist dann so eine große Familie (man stellt sich unter einiger Verbiegung der Geschichte ja als uralte Abstammungsgemeinschaft vor). Daraus ergeben sich zwei Arten von Argumenten. Das erste möchte ich einmal als das Obdachlosen-Argument bezeichnen: Statt um die Geflüchteten möge man sich doch um Notleidende in Deutschland kümmern – man vergeht sich sonst gegen die notleidende Verwandtschaft zugunsten dubioser Fremder. Das zweite wäre das Saudi-Arabien-Argument: Allenfalls sollte man christliche Kriegsopfer aufnehmen, wenn überhaupt, und sonst sollen sich „die“ muslimischen Staaten um „Ihresgleichen“ kümmern (natürlich muss man dazu großzügig die Differenzen zwischen muslimischen Glaubensrichtungen und die Unterdrückung in so manchem Land ignorieren. Wobei ich gerne zugestehe, dass sich bestimmte Länder in anderer, konstruktiver Weise engagieren könnten, als sie es bisher tun). Beide Argumente laufen darauf hinaus, dass man jede Person für die Ihren, und in Übertragung auch jede Nation für die „eigenen“ Probleme (ihrer Einwohner- oder Nachbarschaft) verantwortlich macht. Moral hält sich an das persönliche Umfeld, und Politik an die Grenzen des Nationalstaates oder vage konstruierter Kulturkreise. Nicht Menschheit und allgemeine Menschlichkeit, sondern die gefühlte Wirklichkeit einer familiär-fürsorglichen Menschennatur leitet die Urteile.

Neben dieser Verantwortungszuschreibung gilt es auch sonst, die Ansprüche der Fremden an einen einzudämmen: Sie dürfen auch von sich aus nur in Nachbarländer fliehen, sonst sind sie maßlos und verwandeln sich von Kriegs- in Wirtschaftsflüchtlinge (durch diese magische Verwandlung kann man sich ihrer schnell entledigen), und sie müssen mit weniger Geld zufrieden sein als Deutsche (von denen sich einige offenbar aus ihrer subjektiv oder objektiv prekären Situation heraus ständig vergewissern müssen, dass niemand bessergestellt wird als sie, und beständig nach Belegen und Empörungsgründen suchen, wonach doch andere unverdient bevorzugt werden, und die absurdeste Behauptung über überversorgte Eingewanderte bereitwillig glauben, weil das offenbar ein tiefes Bedürfnis der Sinnstiftung erfüllt).

Aber man setzt sich ja gerade auch für fremde Tiere ein (bzw. empört sich zumindest über deren Schicksal, wenn man auch bei Tieren im Ausland womöglich anderen die Verantwortung überlässt). Wir müssen da verschiedene Verallgemeinerungsstufen von Moral beachten, neben der bereits genannten Volksgemeinschaft: Viele machen noch die Verallgemeinerung mit, dass auch andere „Schutzbefohlene“ haben oder potenziell Nahestehende sind (andere haben auch Kinder und alle Hunde existieren in gewisser Weise nur in Bezug auf den Menschen und bedürfen seines Schutzes). Manche haben sich aber nicht zu der Verallgemeinerung vorgearbeitet, dass alle Menschen und Wesen moralische Ansprüche stellen können oder man sie ihnen zugestehen muss. Für Personen mit einer derart unverallgemeinerten Moral sind alle anderen für sich selbst verantwortlich, müssen von ihresgleichen versorgt werden oder müssen sich Wohlwollen erst durch Wohlverhalten und Leistung verdienen, während die eigenen Angehörigen und Volksangehörigen in der Regel unverdiente Fürsorge verdient haben.

Das hängt damit zusammen, dass einem der eigene Besitz auch nahesteht, dass man sich selbst für ehrlich und fleißig (oder zumindest arbeitswillig) hält und glaubt, dass einem schon deshalb die Früchte der Arbeit (oder der Lohn für die grundsätzliche Arbeitsbereitschaft) zustehen, welche man nicht teilen müsse. Es wird also in allen Bereichen moralisch zwischen den Meinen bzw. dem Meinen und den anderen unterschieden, deren Probleme einen nicht angehen und die keine Ansprüche an einen haben, schon gar nicht auf den eigenen Lohn und Besitz.

Anderer Leute Kinder und Haustiere bzw. streunende Tiere aus Haustierarten werden dann als Opfer bevorzugt wahrgenommen und Untaten gegen sie wird eine besondere Abscheulichkeit zugeschrieben. Das wird oft damit rationalisiert, dass Kinder und Tiere „unschuldig“ seien – das ist zwar immerhin kein moralischer Verdienst, hängt aber wieder mit der oben diskutierten Auffassung zusammen, dass die Ansprüche anderer von deren moralischer und anderer Leistung abhängt. Wer sich einmal schuldig gemacht hat, verliert in dieser Denkweise dann auch jegliche Rechte (auf menschenwürdige Unterbringung und Versorgung, Resozialitation, gar auf das Leben), wohingegen Vergehen gegen die moralisch „Reinen“ besonders abscheulich sind (Leben der Opfer sind sozusagen unterschiedlich viel wert). Bestimmte Täter sind dann eine nicht mehr zu verstehende Personifizierung des Bösen, widernatürliche Unmenschen, die das quälen, was man ja ganz von selbst lieben müsste. Dann ergeht man sich nicht selten in Bestrafungs- und Gewaltphantasien, in denen man anderen typischerweise dieselben Qualen wünscht, wie sie zugefügt haben, oder die Todesstrafe fordert (vgl. den rechten Slogan „Todesstrafe für Kinderschänder“, womit auch der Bezug zur Sexualität wieder da wäre).

Die Fokussierung auf diesen Opfertypus der Nahestehenden lenkt dann weg von den sonstigen Leiden Verfolgter, Vertriebener und erwachsener Kriegsopfer. Wenn die Flüchtenden ohnehin als fremd, nicht nahestehend und potenziell betrügerisch, damit als moralisch nicht recht anspruchsberechtigt angesehen werden, dann werden noch Begründungen für ihre Unwürdigkeit nachgeschoben, welche sich vor allem auf ihren Umgang mit Familienangehörigen beziehen: Der erwachsene männliche Flüchtling habe seine Familie im Stich gelassen, statt das Vaterland zu verteidigen (Frauen gelten dabei tendenziell auch als Schutzbefohlene eines solchen „Deserteurs“), oder sie wahlweise auf der Flucht in Gefahr gebracht, oder sie nutzen Kinder als Druckmittel zur Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung. Bzw. wenn Kinder zu Schaden kommen, müssen umgekehrt die natürlichen Beschützer schuld sein, nicht etwa diejenigen (Mit-)Schuld tragen, welche die gefährlichen Bedingungen erst geschaffen haben.

Wenn man fremde Kinder dagegen nicht mit den eigenen gleichsetzt, sondern mit ihren angeblich von niederen Antrieben bewegten Eltern zusammenwirft, dann erscheinen sie gar als Waffe in einem Übervölkerungskampf und als gefährliche Fremdkörper in Kindergärten und Schulen. Hingegen kommt einem nicht die Überlegung in den Sinn, dass man selbst ja wohl auch dahin flüchten würde, wo es den eigenen Kindern nicht zuletzt wirtschaftlich am besten ginge – ob man sie nun gleich mitnimmt oder ihnen die Gefahren der Flucht zunächst erspart in der Hoffnung, sie auf einfacherem Wege nachholen zu können.

Es besteht also eine Abstufung: Geflüchtete kann man noch gelten lassen, wenn sie Familienmenschen sind, man sorgt sich nur um ihre Kinder und macht sie für deren Schicksal alleine verantwortlich, oder fürchtet und verabscheut sogar die Kinder selbst. Eine schlimme Stufe der Abscheu besteht z.B. auch darin, Muslime als Sodomiten und tierquälerische Schächter und Geflüchtete als potenzielle Vergewaltiger anzusehen. Dann sind sie also in keiner Weise mehr einem selbst ähnlich, sonder neigen zu schlimmsten Vergehen gegen Kinder und Tiere.

Bei fremden Hunden ist es hingegen umso leichter, sie positiv und als schutzbedürftig zu sehen, als sie keine Nationalität, keine Religionszugehörigkeit, keine Kultur haben, sondern Gattungswesen oder Individuum sein können, das immer und unbedingt Fürsorge verlangt. Demgegenüber sind die Kinder der Geflüchteten ambivalent: Sie haben Teil an der bedrohlichen Fremdheit oder sind noch davon unbefleckt, werden aber Opfer der Falschheit ihrer Angehörigen. So kann es sein, dass sie gleich mehrfach vor die Hunde gehen, in ihrem Herkunftsland, auf der Flucht oder durch die beschränkte Moral der hiesigen Tierlieben.

Es ist interessant und stimmt hoffnungsvoll, dass diese partikuläre Moral ambivalent ist: Verachtung den Fremden, den Geflüchteten gegenüber, weil sie sich nicht um ihre Familie zu sorgen scheinen (und sogar ihre Kinder können wie beschrieben auf zweierlei Weise gesehen werden), aber man kann sie vielleicht auch als Familienmenschen sehen, mit denen man mitfühlt, weil auch sie Nahestehende haben. Das ist noch nicht die universelle Moral, welche die Rechte aller anerkennt, aber vielleicht eine Brücke dahin.